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Europa muss sich entscheiden

Europa muss sich entscheidenDie Referenten mit Europa-Abgeordneter Dr. Barbara Kappel (Bildmitte) und IPA-Präsident Olivier Boulangez (2. v. r.). Foto: EGB

Trotz brütender Sommerhitze war das Interesse an der Vortrags-veranstaltung des Vereins der Freunde der Wiener Polizei am
20. Juni 2018 sehr hoch. Rund 100 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Polizei kamen in die Oesterreichische Nationalbank, darunter die Europa-Abgeordnete Dr. Barbara Kappel, der ehemalige Polizeikommandant in Paris und Präsident der International Police Association (IPA), Olivier Boulangez, der Vorsitzende des Wiener Gemeinderates Mag. Thomas Reindl, die beiden ehemaligen Spitzen-funktionäre der Wirtschaftskammern Dr. Walter Nettig und Dr. René Alfons Haiden.

Österreich im Mittelpunkt

In wenigen Tagen übernimmt Österreich für ein halbes Jahr den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Mit der Präsidentschaft unter dem Motto „Europa, das schützt“ rückt unser Land ab 1. Juli 2018 „in den Mittelpunkt politischer, wirtschaftlicher und sicherheitsrelevanter Themen in einer  mit großen Problemen kämpfenden EU“, wie Vereinspräsident Adolf Wala zur Eröffnung der Veranstaltung ausführt. Besonders im Fokus stehen werden die Verhandlungen zum neuen EU-Budget ab dem Jahr 2021 sowie die finalen BREXIT-Verhandlungen, damit der Austritt Großbritanniens mit 29. März 2019 vollzogen werden kann.

Zentrale Rolle der Notenbanken

„Dass dabei – wie schon in der Vergangenheit – auch  die Politik der Europäischen Zentralbank eine große Rolle spielen wird, ist evident“, so Wala. „Heute besteht kein Zweifel: Ohne die rasche und richtige Reaktion des Systems der Notenbanken sowie die entsprechenden Begleitmaßnahmen der Politik wären Europa und die Weltwirtschaft in eine Krise ungeahnten Ausmaßes geraten“, erklärt er mit Verweis auf die Finanzkrise ab 2008.

In dieser schwierigen Phase von Anfang an „an vorderster Front“ sei der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und „Gastgeber“ Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny gestanden, der vom beginnenden „Einstieg in den Ausstieg“ berichtete: „Jetzt zieht das Wachstum in Europa – entsprechend den Zielen der geldpolitischen Maßnahmen – wieder deutlich an, daher werden die Anleihen-Ankäufe der EZB zur Unterstützung der Wirtschaft von monatlich 30 Mrd. Euro ab Oktober auf 15 Mrd. Euro zurückgefahren.“

Zum Jahresende 2018 solle der Nettoerwerb enden – es werden auch danach auslaufende Anleihen durch Reinvestition in neue ersetzt. Das Reinvestment-Volumen betrage derzeit nahezu 19 Mrd. Euro, im Oktober 2018 werden das knapp 24 Mrd. Euro sein und in 2019 noch höher ausfallen. Die Bilanzsumme der EZB solle jedenfalls unverändert bleiben.

Deflationsgefahr im Euroraum abgewendet

Die EZB-Leitzinsen sollen über den Sommer noch auf ihrem aktuellen Niveau bleiben – eine Frage der mittelfristigen Inflationsaussichten im Euroraum. Mit den Anleihe-Käufen sollte die Inflation knapp an die zwei Prozent gehebelt werden. „Das Ziel ist erreicht“, so Nowotny. Dieser Erfolg nach der Deflationsgefahr im Euroraum vor zwei, drei Jahren sei aber abzusichern.

Das eher lange Zuwarten der EZB mit einer Zinserhöhung werde wohl zu einer hohen Zinsdifferenz mit den USA führen. „Die US-Notenbank hat bereits eine expansive Wende vollzogen“, sagt Nowotny – mit vier in 2018 und drei weiteren Zinsanhebungen in 2019. Das sei auch ein Anreiz für Geldkäufe: Mit billigem Euro werde in US-Dollar investiert. „Das würde den Euro tendenziell abschwächen" – und sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der USA auswirken: „Preislich werden die Europäer eher wettbewerbsfähiger!“ Zugunsten der Wirtschaftsankurbelung sollen lt. Nowotny „die Banken wieder mehr Kreditausgaben tätigen und nicht ihre Einlagen bei der EZB horten“.

Politische Entwicklung unsicher

Ein Unsicherheitsfaktor sei die politische Entwicklung, räumt Nowotny ein, der hofft, dass bei Themen wie Handelskrieg und Fiskalpolitik „die Vernunft zurückkehrt“. Denn mit geldpolitischen Maßnahmen sei zwar eine Inflationsgefahr wirksam zu bekämpfen, zur Eindämmung einer Deflationsgefahr brauche es aber eine entschlossene Fiskalpolitik.

Dass Sicherheit und Verlässlichkeit wesentliche Stabilitätskriterien sind, wird von Nowotny bekräftigt. Wala verweist auf die jüngste Mercer-Studie, die Wien zum neunten Mal in Folge als „lebenswerteste Stadt der Welt“ ausweist – mit Sicherheit als einem wesentlichen Faktor. Er präsentiert zudem eine aktuelle Untersuchung im Rahmen des „Demokratiemonitorings“ der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, aus der die Polizei zum wiederholten Mal als jene öffentliche Institution hervorgeht, die das höchste Maß an Vertrauen genießt. „Es freut uns, dass wir mit unserer Vereinsarbeit ein wenig zum hervorragenden Image der Polizei beitragen können!“ Der Vereinspräsident gratuliert insbesondere  Landespolizeipräsident Dr. Gerhard Pürstl zu diesem Vertrauensvotum.

Große Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung

Pürstl bestätigt, dass die objektive Sicherheitslage in Wien sehr gut sei. „Wir verzeichnen große polizeiliche Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung und wir haben gute Konzepte in Sicherheitspolizeilichen Belangen – kurz: Wir sind gut d’rauf!“ Er bedauert, dass sich das subjektive Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung oft anders darstellt, da spielen „externe Faktoren“ eine große Rolle. „Bei den Boulevardmedien gilt: Mit schlechten Nachrichten macht man gute Geschäfte – und über soziale Medien verbreiten sich Nachrichten enorm, ihr Wahrheitsgehalt ist aber häufig gering“, so Pürstl.

Der kommende EU-Vorsitz bedeute auch für die Sicherheitskräfte einen Kraftakt, „wir sind gut gerüstet, aber es kommen aufgrund der zahlreichen Termine – vor allem in Wien – viele zusätzliche Aufgaben auf die Polizei zu“. Pürstl ist es ein Anliegen, sich beim Verein zu bedanken: „Vieles wäre nicht möglich, hätten wir nicht die gute Kooperation mit dem Verein der Freunde der Wiener Polizei!“

Dass diese ganz konkrete Auswirkungen hat, zeigt eine Wortmeldung aus dem Publikum auf, mit der sich ein Gast dafür bedankt, dass mit einem der vom Verein für Polizeidienststellen und –fahrzeuge zur Verfügung gestellten 56 Defibrillatoren das Leben seines Schwagers gerettet worden sei. Pürstl verweist auf „bereits hunderte Lebensrettungen“ mit diesen Geräten: „Die Polizistinnen und Polizisten sind geschult für diese Einsätze – und meist schneller vor Ort als die Rettung.“ Für die polizeilichen Lebensretter gebe es innerhalb der Polizei Ehrungen – zur zusätzlichen Motivation.

EU: Populismus oder neue Strategien

Als Vortragender fungiert zuletzt der Wirtschaftsforscher und ehemalige Leiter (2005 bis 2016) des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Prof. Mag. Karl Aiginger. Derzeit ist er als Gastprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien,  Honorarprofessor an der Universität Linz und Leiter des Diskussionsforums „Querdenkerplattform: Wien – Europa“ tätig.

Das „Erfolgsmodell“ Europa „in der Midlife Crisis“ kann lt. Aiginger „eine große Rolle in der Welt“ übernehmen – wenn es gelingt, rechtspopulistische Wahlkampftaktiken des Feindbildaufbaus durch neue Strategien zurückzudrängen. 2018 sei das entscheidende Jahr für die EU – und deren Nachbarländer. „Diese müssen wir als Partner mitnehmen. Sie verfügen über ein höheres Wirtschafts- und ein stärkeres Bevölkerungswachstum. Nur gemeinsam können wir eine Kraft in der Globalisierung  darstellen, das kann Europas USP sein!“

Im verstärkten partnerschaftlichen Umgang mit den Nachbarländern sieht er ein „Gegengewicht zum Populismus“. Erhöhte Qualifikationen würden den Migrationsdruck bremsen, eine „nachfragorientierte zirkuläre Migration“ ermöglichen und die Attraktivität von „Hegemonialträumen a la Russland, Türkei oder des Iran“ eindämmen. „Brücken bauen ist Österreichs historische Rolle – und würde gerade jetzt Spannungen lösen.“

Investment anstelle von Zäunen

Reine Defensivmaßnahmen wie Zäune und militärisches Eingreifen könnten die vorhersehbaren „Riesen-Migrationswellen“, etwa aus Afrika, nicht einschränken. Es gelte, vor Ort zu investieren – in Bildung und einen Wirtschaftsaufbau, sodass Menschen in ihren Heimatländern eine Lebensgrundlage gewinnen und bleiben können. Da ginge es um den Zugang zu Schulen – für beide Geschlechter –, um die Bekämpfung des Analphabetismus, um eine Ende der nationalen Isolierung von Lehrern und eine Outputkontrolle, um Austauschprogramme, Forschungskooperationen und Monitoring. Aiginger entwirft die Vision von „Sonderzonen“ mit Null-Emissionen, Arbeit und Ausbildung – gegebenenfalls unter internationalem Schutz.

Migranten in Europa seien zu integrieren: „In Europa ist das Bevölkerungswachstum eher rückläufig. Wir brauchen Zuzug – und Fachkräfte. Wir müssen uns nicht vor Migration schützen, sondern diese positiv gestalten“, rät er im Vorfeld des österreichischen EU-Vorsitzes. Aiginger plädiert für eine „regionalisierte Aufteilung“ mit dem Anreiz: „Wer Migranten nimmt, soll höhere Regionalförderungen erhalten.“

„Dummheiten“ abschaffen

„Europa muss es politisch besser machen“, so Aiginger: „Und Österreich sollte nicht mehr zahlen, wenn gewisse Dummheiten bleiben.“ Darunter subsummiert er etwa, dass der Faktor Arbeit hierzulande immer noch höchst besteuert ist, Emissionen dagegen kaum Steuern unterliegen, dass Doppelgleisigkeiten bestehen oder die unrealistisch gestaltete Bemessungsgrundlage für Erbschaftsteuern. „Derzeit haben wir vor jedem Nachbarland Angst, das steuergünstigere Bestimmungen hat.“ Aber: „Nur Subsidiarität funktioniert nicht. Es muss globale Lösungen geben.“ Aus Aigingers Sicht solle die EU Rahmenbedingungen für die Besteuerung vorgeben. Welche Steuern national umgesetzt werden, solle dann Sache jedes einzelnen Mitgliedsstaates sein.

Interne Reformen, externe Partner

Aiginger rechnet mit insgesamt 100 Mrd. Euro Investitionsbedarf. Die Mittelaufbringung sieht er in Einsparungen bei Subventionen, in der Besteuerung von Finanztransaktionen und Emissionen. „Dem gegenüber steht ein höherer Ertrag durch Marktwachstum, Stabilität, niedrigere Ausgaben bei Rüstung, Reparatur und im Sozialbereich.“ Als Erfolgsbeispiel sieht er die Ostöffnung: „Am Beginn hatten alle Angst, jetzt steht da eine win-win-Situation.“

Europa sei ein Friedensprojekt in der „neuen Weltordnung“, so Aiginger: „Die USA sind heute als unverlässlicher Egoist zu werten, China ist auf dem Weg zur Nummer Eins, neue Mächte wie Russland oder die Türkei positionieren sich, Europa muss sich entscheiden – nicht für Militär und Grenzschutz, sondern für interne Reformen und externe Partner sowie die vertrauensvolle Investition in Köpfe, Frieden und Arbeit!“

Fotos: Verein/EGB, Fritz Stiegler (1)

 

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